Ich
will ihn schmähen
und
über den grünen Klee loben
Von
Paul Rosie' (Auszug) 1986
Gottlob
muss ich keine Rede halten! Gottlob muss ich überhaupt nichts von
mir geben. Er belauert mich nicht, ist nicht darauf gespannt, was ich
ihm zu unterstellen mich erdreiste oder auf welche wohltönende Weise
ich in die Leier greife, ihn zu preisen. Mich hernach für alle
Zeiten zu schneiden oder mich an seinen Busen zu drücken, muss er
sich nicht sofort entscheiden. Aber man wird sich fragen, warum setzt
sich so einer hin und schreibt über so einen? Das kann ich nicht zu
jedermanns Zufriedenheit beantworten. Gewiss, ich könnte mich darauf
herausreden, dass ich eben eine seiner Genietaten bewundert habe,
dass ich aufgewühlt bin und voller Bewunderung, und dass mir die
glatte Emotion die Feder in die Hand gezwungen hat. Ich könnte auch
behaupten, dass ich ihn erst gestern dabei beobachtet habe, wie er
Nebendinge trieb, die er nicht sehr gerne an die große Glocke
gehängt sehen möchte; auch ist es denkbar, dass ich meine
Motivation aus einem Traum hätte beziehen können, aus dem ich
schweißgebadet mit einem grellen Schrei erwachte und in welchem er
eine Rolle spielte, die er bis dato nicht in seinem Repertoire hatte.
Mit nichts dergleichen versuche ich, mein Vorhaben zu erklären. Auch
Wut hat mich nicht verleitet, nicht einmal Neid, weder Zuneigung noch
stürmische Bewunderung. Das letztere ist ohnehin ein Dauerzustand,
wenn auch inzwischen gleichbleibend gemäßigt, ordentlich, wie es
sich gehört. Langeweile hat mich ebenfalls nicht getrieben.
Dergleichen ist mir fremd. Also wird mich Schaffensdrang gepeinigt
haben. -
Einverstanden!
So etwas kleidet. Außerdem dürfte es doch wurscht sein, meine ich.
So oder so - es macht mir Spaß! Basta! Ich will ihn schmähen und
über den grünen Klee loben. Um ihn zu schmähen, liegt allerdings
wenig brauchbares Material vor, das mit dem grünen Klee indessen
lässt sich schon besser an. Andererseits zögere ich, ihm seinen
Lorbeerkranz noch dichter zu winden. Das eine und das andere
Blättchen hinzuzufügen, habe ich zwar Veranlassung wie jeder andere
auch, doch scheint mir das ein langweiliges Geschäft zu sein, denn
ich wüsste nicht, ob sich noch ein Plätzchen finden ließe in dem
Gestrüpp, das ihn umwuchert.
Nein,
ich will ihn nicht noch mehr herausputzen - er würde es mir nicht
danken. Bestenfalls käme er daher und würde zu all den charmant
arroganten Bemerkungen, mit denen er seine Freunde bedient, eine neue
dazutun. Seit über 30 Jahren verkohlt mich dieser Mensch aufs
liebenswürdigste, pflaumt mich mit aller Herzlichkeit an, und ich
weiß seinen Witz nicht mit entsprechendem Witz zu begegnen. Im
Mündlichen bin ich nämlich etwas schwach, während sein überaus
gelenkiges Mundwerk jedermann betört, um so mehr, als es sich der
sehr edlen Mundart des professionellen Berliners bedient, und zwar
ausschließlich und in höchster Vollendung.
Unser
Mann jedenfalls ist ein durch und durch überzeugter Weißenseer und
weiß, was er seiner Überzeugung schuldig ist. So stiftete er
irgendwann einmal einen Preis, der demjenigen jeweils zu verleihen
ist, dem die Berliner Schnauze, inklusive Herz natürlich, eine Frage
des persönlichen Stils ist und der dieselbe auf konkurrenzlose Weise
zu betätigen weiß. Mit der Auszeichnung ist eine Dotation
verbunden, die in Höhe von fünfzig Mark aus des Stifters Tasche dem
Laureaten zufließt, allerdings mit der Auflage, die Summe Geldes
augenblicklich in Schnaps zu verwandeln und dem Konsum der
Beteiligten zuzuführen.
Einen
erheblichen Anteil seines Mammons verwendet unser Mann aus 1120
Berlin indessen für Dinge ganz anderer Art, die freilich auch ihrer
Natur nach zu den geistigen zu rechnen sind: Er schmeißt den Zaster
Leuten in den Rachen, die einen Handel mit Büchern betreiben. Sie
überantworten ihm dafür zentnerweise ihre Ware, die teils
funkelnagelneu, teils hochbetagt ist. Man sagt ihm nach, dass er
inzwischen 20 000 Exemplare dieses begehrten Handelsartikels besäße,
denn es handelt sich selbstverständlich nur um ausgesprochen
exquisite Titel. Weil er diese Fülle in seiner an und für sich gar
nicht so kleinen Wohnung nicht unterzubringen weiß, mietete er sich
einen nicht mehr funktionierenden Bäckerladen zu diesem Behufe. Als
wir uns eines Tages über das Zusammenleben mit Büchern
unterhielten, beendete er das Thema mit der Bemerkung: "Tja,
siehst du, der Unterschied zwischen uns beiden ist der: Du hast
Bücher, und ich, ich habe eine Bibliothek!"
Ich
weiß nicht, was man von mir erwartet, da ich dies hier nun schon mal
begonnen habe. Möglicherweise, dass ich von seinem Werk berichte,
von seiner Bedeutung als Künstler und Lehrer, also von all dem, was
man gemeinhin in solchem Zusammenhang serviert bekommt. Nein - gerade
aus diesem Grund weigere ich mich, so zu verfahren! Diese Thematik
ist bereits Lehrstoff in den allgemeinbildenden Schulen, und jedes
Kind kennt seinen Namen, und die Fibeln hat er sogar auch noch selber
gemacht. Ich erspare mir derlei, zumal sich schon ganz andere
Experten damit eine goldene Nase verdient haben. Unternähme ich es
trotzdem, so käme ich mir wie der Mann vor, der Bier nach München
trägt.
Apropos
Bier - oder Wein - oder Sekt - oder auch die ganz scharfen Sachen.
dass er sich mit Eifer durch diese Tropfen hindurchgekostet hat,
tuschelt der und jener hinter vorgehaltener Hand. Ach, du meine Güte!
Leute, die dergleichen herumtratschen, sind entweder selbst
approbierte Süffel oder das Gegenteil davon, nämlich widerliche,
langweilige Blaukreuzler oder sowas Ähnliches. Selbstverständlich
weiß er es zu schätzen, dass die Sorgen durch Likör, aber besser
noch durch Kognac gemildert werden. Selbstverständlich ist er der
Meinung, dass der Schampus nicht nur dazu da ist, dass man seine
Flaschen mit einer erlesenen Kuvertüre versieht und hernach in den
Ausguss kippt. Ich habe es erfahren, was er für ein wackerer Zecher
sein kann. Er kapituliert nicht so schnell wie zum Beispiel ich - er
bleibt Herr der Lage.
Man
sieht, ich habe es schwer mit ihm, und auf ganz unterschiedliche Art.
Ob er mir nachweist, dass ich in aller Öffentlichkeit ein Fremdwort
falsch gebrauche - was in der Tat vorgekommen ist, und hoffentlich
nur ein einziges Mal -, oder ob er mich nötigt, Dinge zu tun, die zu
tun ich mir längst abgeschworen hatte und die ich Trottel dann auch
prompt zu tun mich befleißigte. Brav und ergeben tat ich es
fünfundzwanzig Jahre lang und keineswegs, ohne zu murren und zu
klagen. Ich spreche von meiner Lehrtätigkeit an der Kunsthochschule
Berlin in Weißensee. Er trägt die Schuld daran: Im Oktober 1955
bimmelt mein Telefon, er meldet sich, lässt mich gar nicht zu Worte
kommen und beordert mich in die Hochschule, wo ich, wie er
kategorisch bemerkt, meine Weisheiten gefälligst an den Mann zu
bringen hätte, weil ich sonst daran ersticken würde. Ich brülle
ein ebenso kategorisches "Nein!" in den Hörer, das er
indessen nicht mehr vernimmt, weil er schon, seines Sieges gewiss,
aufgehängt hat. Zwei Tage später nahm ich mein Joch auf mich. In
der Hochschule spielte er unbestritten die Rolle eines Protagonisten;
und für seine Studenten ist er so was wie der liebe Gott.
Er
wirkt ja auch sehr segensreich, und sein Segen bleibt nicht ohne
Wirkung. Unzählige Talente hat er gepflegt und gehegt und getrietzt
und kujoniert und hat ihnen über die Schwelle geholfen. Und in gar
vielen Fällen hat er mit Befriedigung feststellen können, dass es
nicht vergeblich war. Eine seiner ehemaligen Jüngerinnen, heute eine
renommierte Illustratorin, kam einst zu mir und berichtete - im
Zustand fassungslosen Glücks -, dass ihr der Meister zur Belohnung
und als Anerkennung für eine gelungene Arbeit, in ihrer Abwesenheit
eine seiner Leib- und Magenzigaretten auf den Tisch neben ihr
Kunstwerk gelegt habe. Wie jeder bestätigen muss, ist dies eine
charmante, stilvolle und ritterliche Geste. Der Mann hat Stil.
Rundherum. Sein Name ist übrigens Werner Klemke.
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